Am 1. Januar feierte Johann Hardekopf seinen 55. Geburtstag. Am Abend ging
die ganze Familie ins Theater. Unterwegs fragte Karl: „Was wird heute gegeben?“
„Ein Lustspiel“, sagte der alte Hardekopf, „dieses Stьck zeigt man schon seit 6
Wochen, es hat Erfolg.“ Frau Hardekopf war zufrieden, dass sie sich etwas Lustiges im
Theater ansehen wird. Sie erinnerte sich an ein Trauerspiel, das sie und ihr Mann
einmal gesehen hatten.
„Vor sieben Jahren waren wir einmal im Theater, aber es war sehr schlecht. Wir
haben uns Mord und Kerker angesehen. Der Teufel spielte in seiner eigenen Person
mit. Was wurde damals gegeben?“, wandte sie sich an ihren Mann. „Faust“. Aber es
war doch nicht schlecht“, sagte der alte Hardekopf. „Faust“ von Goethe?“, fragte Karl
erstaunt. „Aber es kann doch nicht schlecht sein.“ „Doch. Es war ungerecht und dabei
unmoralisch“, sagte Frau Hardekopf. „Und am Schluss gab es einen groЯen Skandal.“
Sie erzдhlte davon.
Das Theater, wo „Faust“ gegeben wurde, war ein Volkstheater. Dieses Theater
besuchten gewцhnlich Seeleute, Hafenarbeiter, Fischer. In diesem Theater wurden
immer Komцdien gespielt. Eines Tages beschloss der Regisseur dieses Theaters, die
Gretchentragцdie zu spielen.
Zuerst war es im Zuschauerraum sehr still. Alle hцrten aufmerksam zu. Aber
zum Schluss, als Faust und Mephisto Gretchen im Kerker zurьcklassen und fortgehen
wollten, stand das Publikum auf und rief: „Heiraten soll er sie! Heiraten!“ Da halfen
die Stimmen der Engel nicht, die sagten: „Sie sei gerettet!“
„Wer ist gerettet?“, schrieen die Zuschauer, „Er soll sie heiraten!“ Dann kam der
Spielleiter auf die Bьhne und versuchte dem Publikum zu erklдren, dass dieses Stьck
nicht von ihm geschrieben ist. Es sei von Goethe. Aber das Publikum hцrte ihm nicht
zu. „Was fьr ein Goethe? Das sind nur Ausreden! Heiraten soll er sie! Heiraten!“,
skandierte man im Chor. Faust und Gretchen sollten den Schluss des Stьckes
korrigieren. „Gretchen, verzeih mir“, sagte Faust, „ich war schlecht zu dir. Willst du
mich heiraten?“ „Ja, Heinrich“, sagte sie leise.
Das Volk jubelte. Man schenkte Gretchen einen groЯen BlumenstrauЯ, Faust
bekam auf die Bьhne Zigaretten. Frau Hardekopf war froh, dass dieses unmoralische
Stьck durch die Stimme des Volkes korrigiert wurde.